Sofortkontakt zur Kanzlei
Becke & Partner
Aktuelle Fachbeiträge
 

Internetrecht Rechtswidrige Äußerungen in sozialen Netzwerken

Wann müssen Provider von sozialen Netzwerken tätig werden, wenn auf ihrer Plattform rechtswidrige Äußerungen veröffentlicht werden? Mit dieser Frage musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. befassen (Urteil vom 13.06.2024 – 16 U 195/22):

Worum ging es?

Der Antisemitismus-Beauftragte Baden-Württembergs, Michael Blume, hatte der Betreiberin der Social-Media-Plattform „X“ (früher Twitter) eine Vielzahl von Tweets mit seiner Meinung nach rechtsverletzenden Inhalten gemeldet. Sie müsse die Tweets entfernen und dürfe diese künftig nicht mehr verbreiten, forderte Herr Blume. In diesen Tweets wurde Herr Blume unter anderem als "Antisemit" bezeichnet und Nähe zur Pädophilie unterstellt.

Haftung von Providern für Inhalte Dritter

Ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch richtet sich zunächst gegen den Äußernden als unmittelbaren Störer. Häufig wird dieser aber schwer zu ermitteln sein. Einfacher erscheint es dann häufig, den Betreiber des sozialen Netzwerkes in Anspruch zu nehmen. Ein solcher Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch ergibt sich aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB analog iVm Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG.

Dabei findet das Haftungsprivileg nach Art. 4-6 Digital Services Act (DSA) keine unmittelbare Anwendung. Der DSA beeinflusst aber indirekt die Voraussetzungen für Störungsbeseitigungsansprüche, da andernfalls das Verbot einer allgemeine Verpflichtung zur Überwachung oder aktiven Nachforschung (Art. 8 DSA) umgangen werden könnte. Nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung besteht demnach keine allgemeine Überwachungspflicht eines Host-Providers.

Demzufolge genügt es nicht bereits, dass von Nutzern der Plattform rechtswidrige Inhalte veröffentlicht wurden, um den Provider der Plattform in Anspruch zu nehmen. In Betracht kommt nur eine mittelbare Störerhaftung des Providers nach Kenntnis der rechtswidrigen Inhalte und Verletzung einer Prüfpflicht. Dabei muss jedoch der Hinweis so konkret gefasst sein, dass der Provider den Rechtsverstoß unschwer feststellen kann.

Dies ist in der Regel unproblematisch bei falschen Tatsachenbehauptungen. Bei Meinungsäußerungen ergibt sich allerdings regelmäßig das Problem, dass zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Äußernden und den Interessen des Betroffenen (bei Ehrverletzungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht) erforderlich ist. Welche Interessen überwiegen, ist dabei nicht immer eindeutig erkennbar.

Entscheidung des OLG

Wie hat nun das OLG Frankfurt a.M. im oben erläuterten Sachverhalt entschieden?

Während das Landgericht dem Antisemitismus-Beauftragten Recht gegeben hatte, wies das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt das Verlangen nach Unterlassung ab. Provider stellten für die Äußerungen Dritter nur eine Plattform zur Verfügung, so das OLG. Für eventuell rechtsverletzende Inhalte seien sie erst dann verantwortlich, wenn sie davon erfahren.

Ermitteln müssten Provider erst, wenn sie konkrete Hinweise auf solche Inhalte bekämen. Die müssten allerdings so genau formuliert sein, dass der Rechtsverstoß unschwer bejaht werden könne –  ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Prüfung .

Im Schreiben des Antisemitismus-Beauftragten sei jedoch nur vage von rechtswidrigen Inhalten die Rede. Unzutreffend sei auch sein Vorwurf, dass das Meldeformular der Plattform „X“ kein Textfeld für genauere Angaben enthalte. Das Formular entspreche gesetzlichen Vorgaben und erlaube in der Spalte „Inhalt“ und als Anhang durchaus ausführliche Angaben zu den betreffenden Inhalten.

Fazit

Demnach lässt sich festhalten, dass Provider bei rechtswidrigen Inhalten von Dritten keine keine unmittelbaren Störer darstellen. Sie werden erst zum mittelbarer Störer, nachdem sie Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt haben. Dafür genügt jedoch kein pauschaler Hinweis auf "rechtswidrige Inhalte". Vielmehr besteht erst dann eine Ermittlungspflicht des Providers, wenn die Beanstandung des Betroffenen so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann.


Ein Fachbeitrag aus dem DIRO-Netzwerk

Beitrag veröffentlicht am
8. Juli 2024

Diesen Beitrag teilen